AUGUSTA RAURICA, Augst (Germania Superior)
Maße
Dm cavea 99,5 m
Inschriften
Gesimsplatte des Semi-Amphitheaters; H. Nesselhauf – H. Lieb, Dritter Nachtrag zu CIL XIII. Inschriften aus den germanischen Provinzen und dem Treverergebiet, 40. Ber RGK 1959, Nr. 100a:
Ex d(ecreto) [d(ecurionum) ---]
„Auf Beschluß der Ratsherren --- "
Literatur: Th. Lobüscher, Tempel- und Theaterbau in den Tres Galliae und den germanischen Provinzen, Kölner Studien zur Archäologie in den römischen Provinzen 6 (Rahden 2002) 21. 156 Nr. 174.
Beschreibung
In Augusta Raurica sind die Überreste von Bühnen- und zwei Amphitheatern bekannt geworden. Die drei ersten Bauten entstanden in zeitlicher Abfolge an einer zentralen Stelle des Stadtgebietes als Teil des kultischen Komplexes am Schönbühl. Dort waren ein 6-säuliger prostyler Tempel und der Theaterkomplex architektonisch unmittelbar aufeinander bezogen und mit einer 20 m breiten Treppe miteinander verbunden. Vom ersten, nach der Mitte des 1. Jahrhundert n. Chr. erbauten Bühnentheater sind bis heute lediglich die ungefähre Ausdehnung und einige wenige Bauelemente bekannt. Aus der Inschrift auf einem Gesimsstück geht hervor, dass der Bau auf Beschluss des Stadtrates errichtet wurde. Dieses Theater wurde um 110 n. Chr. weitgehend abgebaut und an gleicher Stelle ein Amphitheater erbaut. Die zunehmende Beliebtheit von Gladiatoren- und Arenaspielen mag der Beweggrund für diese ungewöhnliche Massnahme gewesen sein. Um 200 n. Chr. oder kurz zuvor wurde dieses Amphitheater an gleicher Stelle wiederum durch ein halbrundes, szenisches Theater ersetzt.
Vom ersten Bühnentheater sind wegen der späteren Überbauungen nur wenige Mauerzüge bekannt. Die Umfassungsmauer der cavea war mit pilaster-artigen Vorsprüngen versehen, die aufgrund ihrer Form eher der Stabilisierung als dem Dekor dienten.Typisch gallo-römischer Bauweise entsprechend wird die cavea eher flach gewesen sein. Von außen scheint mittig durch den Zuschauerraum ein Zugang zur orchestra geführt zu haben. Von der Ummauerung derselben haben sich deutliche Reste erhalten.
Der zweite Bau an dieser Stelle - das Semi-Amphitheater - wird an anderer Stelle aufgeführt.
Der neue und auf das Amphitheater folgende Theaterbau besass in seiner Nord-Süd Ausdehnung die Länge von 103 m und bot etwa 10.000 Personen Platz. Seine axiale Ausrichtung auf den gegenüberliegenden Tempel auf Schönbühl betont nun auch heute noch sichtbar bereits rein äußerlich seinen kultischen Kontext. Der benutzte terminus „Kulttheater“ bedarf hier jedoch der Präzision, da antikes Theater stets im kultischen Kontext stattfand und es ein profanes Theater im heutigen Sinne nicht gab. Dimension und Lage lassen es gleichzeitig städtisch erscheinen und unterscheiden es von solchen kleinen Kulttheatern, die wohl tatsächlich allein im Zusammenhang mit der Verehrung einer ganz bestimmten Gottheit standen und in deren Heiligtum lagen: Solche liegen im griechichen Osten auf Delos im Heiligtun der Dea Syria, in
Dura Europos im Artemis-Nanaia-Heiligtum, in
Shahr,
Gerasa (Birketein) oder im gallischen Bereich das Theater im Heiligtum von
Möhn oder mit weniger sicherer Deutung jenen von
Trier-Altbachtal und
Kastel-Staadt. Verglichen wurde der Komplex dagegen ganz richtig mit Anlagen wie jene im Cigognier-Heiligtum von
Avenches oder in
Merida.
Das Theater ist gegen einen Hang errichtet, wodurch in diesem Bereich auf aufwändige Substruktionen verzichtet werden konnte. Lediglich die Eingangshallen nördlich und südlich der Orchestra sind arkadenförmig gestaltet. Den Unterbau der Sitzstufen bildeten Mauergevierte aus kleinen Kalksteinquadern, die mit Schutt und Erde aufgefüllt waren. Diese Konstruktion zog einen gewaltigen Erddruck nach sich, dem mit mächtigen Stützpfeilern entlang der Umfassungsmauer begegnet wurde und einer Konstruktionsweise, die im gallo-römischen Bereich häufiger begegnet: hinter die äußeren Mauern gebaute Halbrundnischen, die von außen nicht sichtbar waren, aber durch ihre Wölbung größeren Druck abfangen konnte als linear gebaute Mauern (vgl. Alba,
Thénac,
Autun,
Saint-Cybardeaux,
Saint-Gemmes-sur-Loire,
Ribemonr-sur-Ancre,
Dalheim,
Kastel-Staadt).
Als Baumaterial für das Theater dienten ausschliesslich lokale Gesteine. Die Bauweise mit aus kleinen Kalksteinen bestehenden Mauern ist charakteristisch für das gallo-römische Gebiet; sie unterscheidet sich massgeblich von der südlich der Alpen angewandten Ziegel- und Werksteintechnik. An mehreren Stellen finden sich Hinweise auf eine teilweise Zerstörung des Theaters um die Mitte des 3. Jahrhunderts, deren Ursache noch unklar ist. Das Theater wurde anschliessend repariert und bis ins 4. Jahrhundert weiterbenutzt.
In typischer Lage, am Stadtrand, entstand um 200 n. Chr. im Südwesten von Augusta Raurica am Sichelengraben ein neues Amphitheater mit etwa 5.500 Plätzen. Es ersetzte den älteren Bau im Stadtzentrum, der dem szenischen Theater weichen musste. Der Bau liegt in einer natürlichen Senke und besitzt 50 × 33 m Achsmaß.
Erstes szenisches Theater im Stadtzentrum | 60/70 | bis | 100/110 n. Chr. |
Erstes Amphitheater im Stadtzentrum | 100/110 | bis | 170/200 n. Chr. |
Zweites szenisches Theater im Stadtzentrum | 170/200 | bis | 330/350 n. Chr. |
Zweites Amphitheater am Stadtrand | um 200 | bis | ca.270/300 n. Chr. |
Literatur
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weblinks:
www.augustaraurica.ch/aktuell/mitaug/2007/mit-aug_2007-05-09.htm
theateraugustaraurica.ch/pdf/Theater_Augusta_Raurica.pdf
www.augustaraurica.ch/glossar/t/theater.htm