Neokoros war ursprünglich eine griechische Bezeichnung für einen Tempelwächter oder -priester. Hiervon abgeleitet wurde es zu einem Ehrentitel vor allem kleinasiatischer Städte, welche von Rom die Erlaubnis erhalten hatten, einen Tempel für den römischen Kaiser zu bauen. Dieser Titel war sehr begehrt und entfachte einen Wettstreit kleinasiatischer Städte, ihn führen zu dürfen. Manche Städte erhielten den Titel mehrfach und wiesen vor allem auf ihren Münzen auf diese Ehre hin. Die Erlangung des Titels war ein ausgesprochen wichtiges Ereignis und wurde mit Veranstaltungen großartig gefeiert, die sich selbstverständlich auch in den Theatern der Gemeinden abspielten.
Quellen
Tacitus, ann. IV 55-56 (zum Jahr 26 n.Chr.):
(55) Der Cäsar (d.i. Tiberius) besuchte indessen häufig die Senatssitzungen, um das Gerede davon abzulenken, und hörte sich über mehrere Tage die Gesandtschaften aus Kleinasien an, die sich darum stritten, in welcher Gemeinde ein Tempel errichtet werden solle. 11 Städte wetteiferten miteinander, alle mit gleichem Bemühen, aber nicht mit gleichem Gewicht. Was sie vorbrachten, lag nicht weit auseinander: das alter ihres Stammes, ihr Eintreten für das römische Volk in den Kriegen mit Perseus,
Aristonikos und anderen Königen. Die Städte Hypaepa und
Tralles, zusammen mit
Laodikeia und
Magnesia, wurden als zu wenig leistungsfähig übergangen. Auch die Bewohner von
Ilium, die sich auf Troja als Roms Mutterstadt beriefen, konnten nur ihre ruhmvolle alte Geschichte in die Waagschale werfen. Kurze Zeit schwankte man, weil die
Halikarnassier behauptet hatten, 1200 Jahre hindurch habe die Stadt kein Erdbeben erlitten und die Fundamente der Tempel würden auf natürlich anstehendem Fels stehen. Von den
Pergamenern nahm man an, sie seien schon ausreichend durch den dort für Augustus errichteten Tempel – eben darauf stützte sich ihr Verlangen – bedacht. Die Bürger von
Ephesos und
Milet schienen, dort mit dem Kult des Apollon, hier mit dem der Diana, genug in Anspruch genommen zu sein. So beschränkte sich die Wahl auf
Sardes und
Smyrna. Die Sardianer lasen eine Urkunde aus Etrurien vor, um sich als Blutsverwandte der Etrusker zu erweisen.
Tyrrhenus und
Lydus, die Söhne des Königs Atys, hätten ihr Volk wegen der großen Bevölkerungszahl geteilt. Lydus sei im Heimatland geblieben, Tyrrhenus sei das Los zugefallen, neue Wohnsitze zu gründen. Und nach den Namen ihrer Führer hätten sie ihre Namen erhalten, die einen in Asien, die anderen in Italien. Die macht der Lyder sei noch dadurch gewachsen, dass sie Volksteile nach Griechenland ausschickten, das hernach von
Pelops seinen Namen erhielt. Zugleich wiesen sie auf schriftliche Dokumente von Oberfeldherren und auf die mit uns geschlossenen Bündnisse in dem makedonischen Krieg, auf die Ergiebigkeit ihrer Flüsse, ihr mildes Klima und auf die allseitige Fruchtbarkeit ihres Landes hin.
(56) Die Smyrnäer hingegen griffen auf ihre uralte Vergangenheit zurück, sei es, dass Tantalos, der Sohn Jupiters, ihre Gründer sei oder
Theseus, ebenfalls von göttlicher Abstammung, oder irgendeine Amazone. Dann gingen sie – worauf sie sich am meisten stützten – auf ihre dem römischen Volk erwiesenen Dienste über, auf ihre Seemacht, die sie nicht nur für auswärtige Kriege, sondern auch für die eingesetzt hätten, die in Italien durchzustehen waren. Sie seien die ersten gewesen, die der Stadt Rom einen Tempel errichtet hätten, und zwar unter dem Konsul
M. Porcius und zu einer Zeit, da die macht des römischen Volkes schon groß gewesen sei, aber noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, weil ja noch die
punische Stadt stand und Asiens Könige stark waren. Zugleich führten sie
L. Sulla als Zeugen dafür an, dass auf die Meldungen von der schweren Notlage seines Heeres infolge des harten Winters und des Mangels an Kleidungsstücken in der Volksversammlung von Smyrna alle Anwesenden ihre Gewänder abnahmen und sie unseren Legionen schickten. So gaben die Väter um ihre Meinung befragt den Smyrnäern den Vorzug.
Vibius Marsus beantragte, man solle
M. Lepidus, dem diese Provinz zugefallen war, einen überzähligen Legaten beigeben, der den Tempelbau in die Hand nehmen solle. Und weil Lepidus es aus Bescheidenheit ablehnte, die Wahl persönlich vorzunehmen, wurde der gewesene Prätor Valerius Naso auserlost und dorthin gesandt. (Übers. nach W. Sontheimer)
Literatur
St.J. Friesen, Twice Neokoros. Ephesus, Asia and the Cult of the Flavian Imperial Family, Religions in the Graeco-Roman World, 116 (Leiden u. a. 1993)
B. Burrell, Neokoroi. Greek Cities and Roman Emperors, Cincinnati Classical Studies New Series, 9 (Leiden u. a. 2004).