Die Atellana oder Atellane ist neben dem Mimus die typisch italische Volksposse. Sie hat ihren Namen von der oskischen Stadt Atella, weshalb in den Texten auch von oskischen Possen o.ä. die Rede ist, wenn die Atellane gemeint ist. Von der schriftlich kaum fassbaren Stegreifposse entwickelte sie sich durch
L. Pomponius aus
Bononia und
Novius um die Wende zum 1. Jh. v.Chr. zu einer literarischen Form. Ihre Darsteller trugen Masken, ihre Typen waren der pausbäckige Tölpel (bucco), der Narr (
maccus), der Alte (pappus) und der buckelige Scharlatan (
dossenus) oder Angehörige bestimmter Berufe, wie die Fischer, die Maler, die Ausrufer und Walker (fullones). Die atellani genannten Schauspieler hießen auf griechisch ἀρχαιολόγος, σκηνικὸς oder βιολόγος .
Quellen
Caesii Bassi fragmentum de metris (ed. H. Keil, Grammatici Latini VI, scriptores artis metricae, Leipzig 1874, 312)
Diomedes, de arte grammatica III 2 (ed. H. Keil, Grammatici latini, I, Leipzig 1857, p. 490):
tertia species est fabularum Latinarum quae a civitate Oscorum Atella, in qua primum coeptae, apellatae sunt Atellanae, argumentis dictisque iocularibus similes satyricis fabulis Graecis.
„Die dritte Art der lateinischen Dichtungen ist die, die aus der Stadt Atella im Gebiet der Osker kommt, in welcher sie von Anfang an gespielt wurde, mit Titeln und Späßen ähnlich den griechischen Satyrstücken."
Livius VII 2,1-13.
Lit.: R. Kath, Politiker als Schauspieler - Schauspieler als Politiker? in: L. Popko - N. Grenouille - M. Rücker (Hrsg.), Von Sklaven, Pächtern und Politikern: Beiträge zum Alltag in Ägypten, Archiv für Papyrusforschung, Beihefte (Berlin 2012) 45. (Leseprobe)
Cicero, ad familiares VII 1,2:
Cicero, ad familiares IX 16,7.
In einer viele Aspekte des römischen Theaters berührenden Passage wird die Atellane als Schlußstück (exodium) einer Theateraufführung erwähnt:
Iuvenal VI 60-81:
porticibusne tibi monstratur femina uoto
digna tuo? cuneis an habent spectacula totis
quod securus ames quodque inde excerpere possis?
chironomon Ledam molli saltante Bathyllo
Tuccia vesicae non imperat, Apula gannit,
[sicut in amplexu, subito et miserabile longum.]
attendit Thymele: Thymele tunc rustica discit.
ast aliae, quotiens aulaea recondita cessant,
et vacuo clusoque sonant fora sola theatro,
atque a plebeis longe Megalesia, tristes
personam thyrsumque tenent et subligar Acci.
Urbicus exodio risum movet Atellanae
gestibus Autonoes, hunc diligit Aelia pauper.
solvitur his magno comoedi fibula, sunt quae
Chrysogonum cantare vetent, Hispulla tragoedo
gaudet: an expectas ut Quintilianus ametur?
accipis uxorem de qua citharoedus Echion
aut Glaphyrus fiat pater Ambrosiusque choraules.
longa per angustos figamus pulpita vicos,
ornentur postes et grandi ianua lauro,
ut testudineo tibi, Lentule, conopeo
nobilis Euryalum murmillonem exprimat infans.
„Zeigt man dir etwa in den Arkaden eine Frau, die deines Wunsches wert wäre? Weisen etwa die Sitzplätze in allen ihren Blöcken jemanden auf, den du ohne Bedenken lieben und dort erwählen könntest? Wenn der zarte Bathyllus pantomimisch die
Leda tanzt, bezähmt Tuccia ihren Schoß nicht mehr, Apula stöhnt auf, plötzlich wie in der Umarmung, lang und jammernd,
Thymele schaut aufmerksam, die naive Thymele lernt noch hinzu. Andere dagegen, wenn die Vorhänge verwahrt sind und pausieren, das Theater leer und geschlossen ist und allein die Marktplätze lärmen, und es noch lange dauert von den
Plebeiischen Spielen bis zu dem
Megalesischen, voller Trauer Maske, Thyrsusstab und Lendenschurz des Accius in Händen. Urbicus erregt in dem Schlußstück, der Atellane Gelächter mit der Gestik der Autonoe, ihn liebt die unbegüterte Aelia. Andern öffnet sich für viel Geld die Fibel des Komödienspielers, manche hindern
Chrysogonus am Singen, Hispulla freut sich an einem Tragöden: erwartest du etwa, dass man einen Quintilian liebt? Eine Frau bekommst du, die den Kitharöden Echion zum Vater macht oder die Oboisten Glaphyrus oder Ambrosius. Lange Tribünen wollen wir in engen Gassen errichten, Pfosten und Tür sollen mit mächtigem Lorber geschmückt werden, damit dir dann, Lentulus, das adlige Kind im schildpattverzierten Himmelbett die Züge des Gladiators Euryalus wiedergebe." (Übers. J. Adamietz)
Kommentar: Der von Urbicus im Schlussstück der Atellane dargestellte Mythos beinhaltete die Geschichte der Autonoe, welche die Mutter des Aktaion und die Schwester der Agaue war. Der Sohn der Agaue war König Pentheus. Agaue hatte behauptet, dass der aus der Affäre des Zeus mit der Mondgöttin Semele hervorgegangene Dionysos nicht die Frucht einer göttlichen Vereinigung, sondern des Seitensprungs mit einer irdischen Frau gewesen sei und dass deshalb Dionysos auch kein Gott sei. Aus Rache hierfür schlug Dionysos sie zusammen mit ihren Schwestern mit mänadischem Wahn, in welchem sie ihren Sohn Pentheus erschlug und ihn bei dieser tat für einen Löwen hielt. Die Handlung war bereits in der Tragödie Die Bachen des
Euripides zentrales Thema und könnte dadurch zur parodistischen Darstellung in der Atellane verändert worden sein.
Sueton, Tiberius XLV.
Sueton, Caligula 27.
Sueton, Nero XXXIX 3-4:
„Eines Tages hatte ihn der Kyniker Isodorus im Vorübergehen vor allen Leuten mit lauter Stimme gescholten, weil er das Übel des Nauplios gut besinge, aber sein eigenes Gut übel verwalte; und der Atellanenschauspieler Datus hatte in einer lyrischen Passage die griechischen Worte:
Leb wohl Vater! Leb Wohl, Mutter!
mit Trinken und Schwimmen bedeutenden Gesten begleitet, womit er offensichtlich auf den Tod des Claudius anspielte. Und beim letzten Vers:
Die Unterwelt zieht euch am Fuß
hatte er mit einer Gebärde auf den Senat gewiesen. Über den Schauspieler und den Philosophen verhängte Nero keine weitere Strafe, als sie aus Rom und Italien zu verbannen, sei es, weil er jede Verhöhnung für nichtig hielt, sei es um nicht durch Eingeständnis seines Ärgers die Gemüter noch mehr zum Spott herauszufordern."
Sueton, Galba 13,1:
Quare adventus eius non perinde gratus fuit, inde proximo spectaculo apparuit, siquidem Atellanis notissimum canticum exorsis:
venit Onesimus a villa
cuncti simul spectatores consentiente voce reliquam partem rettulerunt ac saepius versu repetito egerunt.
„Deshalb herrschte auch über seine Ankunft kein reiner Jubel, was gleich bei der ersten Theatervorstellung zum Ausdruck kam. Als nämlich in einem Atellanenstück die Schauspieler das bekannte Couplet begannen:
«Da kommt Onesimus von seinem Gute»,
sangen alle Zuschauer im Chor den Rest des Liedes und wiederholten es, immer wieder mit diesem Vers beginnend.”
Valerius Maximus II 4,4:
atellani autem ab Oscis acciti sunt. quod genus delectationis Italica severitate temperatum ideoque vacuum nota est: nam neque tribu movetur actor nec a militaribus stipendiis repellitur.
„Die atellanischen Schauspieler rühren von den Oskern her. Dies Art der Unterhaltung zeichnet sich durch italische Ernsthaftigkeit aus und ist daher nicht als hohl angesehen: Daher wird ein Schauspieler auch nicht aus der Tribus ausgeschlossen und auch nicht vom Militärdienst zurückgewiesen.”
Die Bemerkung schließt an einen Passus über die als ehrlos eingestuften Histrionen an.
Arnobius, adversus nationes VII 33,7.
Darstellungen
Ausgaben
O. Ribbeck, Comicorum romanorum praeter Plautum et Terentium Fragmenta (Leipzig 1873) 225-276.
Literatur
C.E. Schober, Über die atellanischen Schauspieler der Römer (Leipzig 1825).
M. Hertz, Terracottastatuetten von Schauspielern, Archäologische Zeitung 31, 1874, 118-121 Taf. 12.
L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, II (Leipzig 1922 10) 112 f.
M. Schanz - C. Hosius, Geschichte der römischen Literatur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian, 1. Die römische Literatur in der Zeit der Republik, Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 8 (München 19274) 245.
F. Leo, Römische Poesie in der sullanischen Zeit, in: Ausgewählte kleine Schriften, I, Storia e letteratura, 82 (Rom 1960) 257-267.
P. Frassinetti, Fabula Atellana (Genua 1953).
P. Frassinetti, Fabularum Atellanarum Fragmenta, Corpus scriptorum Latinorum Paravianum (Turin 1955).
F. Graf (Hrsg.), Einleitung in die lateinische Philologie (Stuttgart 1997) 180.
W. Suerbaum (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literatur, I. Die archaische Literatur von den Anfängen bis zu Sullas Tod. Die vorliterarische Periode und die Zeit von 240 bis 78 v.Chr. (München 2002) 264-272.
Enzo Puglia, Un distico in memoria di Gneo Lucceio, autore di commedie Atellane, in: E. Matelli (Hrsg.), Andare a teatro a Roma, Aevum Antiquum 20, 2020, 75-84.